Bauernhaus aus den 1920er Jahren

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Innocenti
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Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Innocenti »

Hallo :)

mein Name ist Ellen. Ich lese hier schon sehr lange als Gast mit. Etwa so lange, wie wir uns schon mit der Idee tragen, einen alten Kasten als Zuhause zu erwerben. Jetzt ist eine Immobilie zum akuten Objekt der Begierde und Anlass, sich anzumelden geworden. Vergangenen Dienstag habe ich allein, zusammen mit der Eigentümerin, das Haus angeschaut. Mich hat es begeistert; kommenden Samstag muss also der Holde mit mir zusammen nochmal hinfahren.

Jetzt möchte ich natürlich die Gelegenheit der Zweitbesichtigung nutzen, und das Haus ohne rosa Brille genauer betrachten. Sollte das Haus danach tatsächlich noch ein heisser Kaufkandidat sein, werden wir nochmal mit einem entsprechenden Gutachter hinfahren. Aber bis es wirklich soweit ist, würde ich mich sehr über einige Tips zur Besichtigung freuen.

Es dreht sich um ein schwäbisches (?) Bauernhaus von 1921. Unten hat es einen Steinsockel, oben ist es Fachwerk. Ich habe hier Scans der Originalpläne liegen; es ist den Ansichten nach zu Urteilen kein Sichtfachwerk; aktuell ist es auch verputzt. Innen ist es (im Gegensatz zu allen anderen Bauernhäusern, die ich mir angeschaut habe) unheimlich großzügig gebaut. Die Steintreppe unten nach der Eingangstüre ist 2,20m breit, nach dem Flur zieht sich durchs komplette Haus bis ins Dachgeschoss eine über 1m breite Holztreppe, die in erstaunlich gutem Zustand ist. Will heissen, die Stufen sind nicht ausgelatscht und es quietscht nichts. Unten ist eine kleine, unspektaktuläre Wohnung auf dem Stand der 1960er Jahre mit Einzelöfen, Küche und Bad. Oben liegen noch die originalen Dielen und Lamberien, es sind noch die alten Kassettentüren mit Oberlichtern und der alte Spülstein in der Küche vorhanden. Oben wurde offensichtlich länger nicht gewohnt; es gibt keine Heizung, kein Bad, nur ein Klo. Die Räume und der Flur sind sehr luxuriös geschnitten und haben eine Höhe von gut 2,50m.
In bisher besichtigten, vergleichbaren Häusern habe ich nur schmale Treppen (Rekord: 40cm), niedrige Decken und enge, kleine Räume gefunden. Ich wüsste ja zu gern, warum dieses Haus im Vergleich so 'verschwenderisch' (und unschwäbisch) anmutet. Ist das in dieser speziellen Zeit so üblich gewesen und mir bislang entgangen?
Worin könnten denn die Schwachstellen liegen? Dann kann ich gezielter danach schauen...

Vielen Herzlichen Dank schonmal fürs Lesen - ich freue mich über jede Anregung.

liebe Grüße,

Ellen
Dietrich Maschmeyer
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Dietrich Maschmeyer »

Na ja, Fachwerk aus den 1920er Jahren, da kann ich mir erst mal wenig drunter vorstellen. Wenn es verputzt und rein konstruktiv ist, dann ist es wohl dünnes Nadelholz mit Füllung aus Bims-Schwemmstein oder ähnlichem - jedenfalls, wenn die Erbauer dem Stand der Technik nicht hoffnungslos hinterherhinkten. Vor allem wäre das Haus - was bei den Zeiten nicht wundert - ein ausgesprochener Billigbau, was aber zunächst nicht unbedingt bedeutet, dass man so was grundsätzlich nicht kaufen sollte. Es kommt halt drauf an...

So ein Bild ergibt sich nach der Schilderung. Hinweise auf Schwachpunkte usw. kann man so - und das wirst Du schon mehrfach gelesen haben - nicht geben, daszu ist meist eine direkte Inaugenscheinnahme erforderlich. Fotos helfen auch ein wenig. Mit gar keiner visuellen Vorstellung wird es aber schwierig.
Innocenti
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Innocenti »

Na mit Bildern kann ich dienen... :)
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Dachboden mit Treppe zum Giebel
Dachboden mit Treppe zum Giebel
Holztreppe mit Blick auf den Vordereingang.
Holztreppe mit Blick auf den Vordereingang.
Schnitt durchs Wohnhaus.
Schnitt durchs Wohnhaus.
Schnitt A-B 1921Wohnhaus.jpg (25.03 KiB) 10365 mal betrachtet
Der Grundriss zeigt den 1. Stock, stimmt allerdings nicht ganz. An der Westseite sind drei Fenster, die vordere Treppe und die Speisekammer existieren nicht.
Der Grundriss zeigt den 1. Stock, stimmt allerdings nicht ganz. An der Westseite sind drei Fenster, die vordere Treppe und die Speisekammer existieren nicht.
Die Südseite.
Die Südseite.
Westseite
Westseite
Innocenti
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Innocenti »

Der Bau soll 1921 übrigens 60.000 MK gekostet haben - ich habe keine Vorstellung, ob das billig ist. (Ich weiss nichtmal, von welcher Währung die Rede ist - Papiermark, Goldmark?)
Dateianhänge
Und hier noch die Südseite von 1921
Und hier noch die Südseite von 1921
Dietrich Maschmeyer
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Dietrich Maschmeyer »

1921 war Inflation - am Jahresende da wären 60.000 Mark wohl recht wenig gewesen. Vielleicht ist der "Feuerversicherungswert 1914" gemeint. Das würde ungefähr zu einem Haus dieser Grösse passen. Wenn die Policen nicht aktualisiert wurden, sollte er immer noch Grundlage des Vertrages sein. Als realem Wert entspräche das heute etwa dem 12,5-fachen in Euro, also etwa 750.000 Euro. Das erscheint wiederum etwas hoch; ich hätte den Wert 1914 auf etwa 35.000 Goldmark geschätzt. Entscheidend sollte bei dem doch beträchtlichen Gebäudevolumen die Bewertung der damals wohl ausgesprochen kostengünstigen Bauweise sein, die in der Tat in Fachwerk war, wie die Zeichnungen zeigen. Fachwerkaussenwände würde ich in dieser Zeit als ziemliche Ausnahmen ansehen. Auch der Architekturduktus ergänzt den Eindruck, dass es sich um eines der letzten vollständig traditionellen Gebäude der Region handeln dürfte. Von daher ist der Bau schon recht beachtenswert - und der Zustand scheint ja auch nicht so schlecht zu sein. Wie das Fachwerk im Detail ausgeführt wurde, geht ja vielleicht auch noch aus den Bauakten hervor.

Wärmedämmtechnisch etc. müsste man sicher einiges machen. Bei dieser Bauweise wäre Aussendämmung angesagt. Wegen der ungewöhnlichen Bauweise sollte schon eine Beratung durch einen qualifizierten Fachmann erfolgen.
Innocenti
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Innocenti »

Hallo :)

Tja - die Zweitbesichtigung ergab, dass das Haus durchaus nicht unbewohnt ist. Abgesehen von den erwartetet Kleinsäugern gab es auch diverse Insekten - leider neben etlichen Wespen- und Bienenbauten auch gemeine Nagekäfer. Die entsprechenden Löcher findet man so ziemlich überall, abgesehen von den Treppenstufen und dem Dielenboden in der oberen Wohnung (Laubholz?). Insbesondere Teile des Dachgebälks (Im Wohnteil hat das Dach übrigens keinen Firstbalken; nur das Scheunendach hat einen), der Boden der Dachgeschosse und der Keller/die Kellertreppe sind auffällig stark befallen. Auch die Scheune ist befallen; die Ostwand beult sich unten schon nach aussen und im innen angrenzenden Kuhstall steht ein Sprieß. Dazu kommt, dass das Scheunendach seit längerem am First undicht ist. Ich nehme an, dass da oben irgendwas durch ist und die Last jetzt den steinernen Kuhstall verbiegt.

Dadurch, dass die obere Wohnung mindestens 15 Jahre nicht bewohnt war, glauben wir, dass der Befall wohl noch aktiv ist. Es waren an vielen Stellen schon arg viele Löcher und mürbes Zeug. Mich beunruhigt, dass die Schäden nicht lokal begrenzt sind, sondern sich im ganzen Gebäude finden.

Wir möchten jetzt abklären, ob das Haus überhaupt mit vertretbarem Aufwand rettbar ist und wenn das nicht völlig ausgeschlossen ist, mit einem entsprechenden Gutachter nochmal hinfahren.

Sachdienliche Hinweise werden gern entgegengenommen. :)

Herzlichen Dank fürs Lesen - ich freue mich auf Antworten.

liebe Grüße,

Ellen
Andreas Imhoff
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Andreas Imhoff »

Hallo, Fachwerk war zu der Zeit wohl ungewöhnlich, kam aber auf dem Land noch vor. Ich habe sogar Ein Foto von der Errichtung eines Fachwerkhauses. Die Gegend ist irgendwo zwischen Brandenburg und Pommern. Vermute ich mal, denn ich kann meinen Opa nicht mehr fragen, der hat das Foto gemacht:

http://www.stuck-und-dielen.de/Fachwerk.htm

Vielleicht ist es aber auch ein Trendsetter in Sachen Heimatstil gewesen? Da wäre 1921 sogar sehr früh für diese Modeströmung.
Dietrich Maschmeyer
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Dietrich Maschmeyer »

Nebengebäude wurde noch bis um 1960 massenweise in Fachwerk errichtet - Wohnhäuser aber nur noch sehr wenig. Umso wichtiger wäre es, die Fachwerkwohnhäuser nach 1900 einmal einer genaueren Untersuchung zu unterwerfen, z.B. unter der Fragestellung: War die Notzeit nach 1914 Auslöser für eine Rückkehr zu dieser Bauweise, oder war es eine zähe Tradition?
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Ulrike Nolte
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Re: Bauernhaus aus den 1920er Jahren

Beitrag von Ulrike Nolte »

Innocenti hat geschrieben: Dazu kommt, dass das Scheunendach seit längerem am First undicht ist. Ich nehme an, dass da oben irgendwas durch ist und die Last jetzt den steinernen Kuhstall verbiegt.

Dadurch, dass die obere Wohnung mindestens 15 Jahre nicht bewohnt war, glauben wir, dass der Befall wohl noch aktiv ist. Es waren an vielen Stellen schon arg viele Löcher und mürbes Zeug. Mich beunruhigt, dass die Schäden nicht lokal begrenzt sind, sondern sich im ganzen Gebäude finden.
Hallo Ellen,

diese "Probleme" sind mir wohlbekannt. Bei unserem Häuschen waren es vier undichte Stellen im Hauptdach, die allesamt repariert wurden. Dazu kam ein verfaulter Fuß eines Stützbalkens an der Überbauung der ehemaligen Miste, wodurch sich die drüberliegende Firstwand, die auf dem querliegende Sturzbalken ruht, nach unten senkte. Der Sturzbalken sah nicht mehr sehr vertrauenserweckend aus. Diese Reparatur war dann eine der leichtesten Übungen, lediglich die Stütze wurde ausgetauscht und zusätzlich eine weitere eingebaut. Dem Sturz sieht man heute nichts mehr an.

Holzzerstörende Käfer gab es hier ebenfalls genug, die meisten der netten Bewohner waren allerdings entgegen meiner ursprünglichen Annahme längst verschwunden und nachdem wir die restlichen alten Möbel entsorgt haben (in denen sich wohl noch aktiver Befall befand), war das Problem bis auf ganz wenige Stellen erledigt. Diese Stellen wurden behandelt und gut war es. Selbstverständlich mussten einige Stellen im Fachwerk erneuert werden, eben weil das Holz schon recht heftig zerstört war. Die absolut schlimmste Erfahrung war dann aber ein Teil, dem man weder den Befall, noch die Zerstörung angesehen hat.

Wir haben bis kurz vor dem Einzug mit der Entscheidung gerungen, ob wir die Treppe ins OG reparieren lassen, was sehr aufwendig gewesen wäre weil die meisten Stufen gerissen, gebrochen, durchgelascht waren. Dann siegte aber doch die Vernunft und eine neue Treppe wurde bestellt, angefertigt und eingebaut. Beim Ausbau der alten Treppe dann der Schock: die innenliegende Wange war komplett morsch. Ein einziger Schlag mit dem Vorschlaghammer und alles löste sich in Staub und kleine Teile auf. Über diese Treppe wurde während der gesamten Bauzeit Tonnen von Material geschleppt ...

Mein Fazit: So schlimm wie es zunächst aussah war es dann doch nicht. Es gab Schlimmeres, was man auf den ersten Blick gar nicht sehen konnte. Wie z.B. massiver Schimmelbefall über einer abgehängten Decke, bedingt durch den Wasserschaden an der einen undichten Kehle. Völlig morsche Bodenbretter unter der zweiten undichten Kehle, verschimmelte Stellen in den Zwischenböden, die wegen des Putzes nicht sichtbar waren. Morsche Auflagerbalken unter den Fußböden im EG.

Die Reparatur/der Ersatz der Hölzer waren aber der kleinere Teil der Kosten.

Viel Glück!
Ulrike
"Wenn du wirklich etwas willst, werden alle Märchen wahr." (Theodor Herzl)
Mehr über meine wahr gewordenen Märchen ist hier nachzulesen
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