Celler Fachwerk-Erbe in Gefahr

Hilferufe für die Erhaltung bedrohter Bauten - Wenn der Bagger droht!
salinodg
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 713
Registriert: Mi 19. Feb 2003, 10:04

Celler Fachwerk-Erbe in Gefahr

Beitrag von salinodg »

Celler Fachwerk-Erbe in Gefahr / ?Jedes zweite Haus stirbt bereits?

Ein Bericht der "Cellesche Zeitung": erschienen als Internet-Version am 12.05.2005 22:23


Die bunte Fachwerk-Kulisse, mit der sich Celle als Touristenmagnet schmückt, ist nach Ansicht von Experten in akuter Gefahr. ?Jedes zweite Haus stirbt bereits?, sagt Bernd Kunze von der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB). ?Wenn die Stadt Celle ihr Fachwerk-Erbe weiterhin so stiefmütterlich behandelt, wird in 50 Jahren jedes zweite historische Gebäude nicht mehr stehen.? Derzeit bearbeitet die Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige der IGB, weil das vermutlich älteste erhaltene Haus Celles abgetragen wurde. Auch wenn seine Reste wieder aufgebaut werden sollten, stuft es die IGB bereits als ?Totalverlust? ein.

CELLE. Verliert Celle die hübsche bunte Kulisse, die sie unter dem Prädikat ?historische Fachwerkstadt? vermarktet? Das jedenfalls befürchten Fachwerk-Schützer. ?Japanische und dänische Touristen mag der Anblick freuen, doch Celle mit seinen entkernten Häusern, an denen nur noch die Fassade an das Echte, Historische erinnert, ist im Grunde eine Stadt ohne Unterleib?, meint Bernd Kunze von der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB). Die düstere Prognose des Fachwerk-Schützers: ?Jedes zweite Haus wird die nächsten 50 Jahre nicht mehr erleben, weil alle Fassaden mit Kunststofffarben gestrichen werden. So etwas tötet das Fachwerk. Was mich wundert, ist, dass es in Celle keine Initiative von Bürgern gibt, die auf die Barrikaden gehen und ihre Geschichte schützen wollen.?

?Substanz verloren?: Auf die Hinterbeine gestellt hat sich die bundesweit aktive IGB. Sie stellte Strafanzeige gegen den Geschäftsmann Horst Gebers, weil dieser nach Ansicht der IGB viel zu Rüde mit seinem inzwischen abgetragenen Baudenkmal in der Zöllnerstraße 20 umgesprungen sei. ?Mit alten Objekt wurde relativ unbedarft umgegangen?, so Stefan Haar von der IGB. ?Die Stadt hätte bei der Baugenehmigung besser hinsehen müssen und sich intensiv um das wertvolle Haus kümmern müssen. Das Haus ist leider ein Totalverlust, selbst, wenn seine kümmerlichen Reste wieder aufgebaut werden sollten. Die historische Substanz ist dann verloren ? wie bei vielen anderen Häusern in Celle auch.?

Wiederaufbau verfügt: Aus den Trümmern auferstehen soll das Haus, wie Maren Sommer, bei der Stadt Fachdienstleiterin Bauen und Umwelt betont: ?Leider wurden wichtige Teile illegal abgebaut. Material mit einem so hohen Denkmalwert darf man nicht einfach entfernen. Eigentum verpflichtet nun einmal. Um die Strafanzeige gegen Herrn Gebers kümmert sich die Staatsanwaltschaft. Wir kümmern uns darum, dass das übrig gebliebene Gebälk aufgearbeitet wird und bei der Neuerrichtung des Gebäudes, für das wir in Absprache mit dem Landesamt für Denkmalschutz eine Wiederaufbauverfügung erlassen haben, verwendet wird. Anfang Juni soll der Wiederaufbau beginnen.?

?Da war nichts illegal?: Gebers Architektin, die namentlich nicht mehr genannt werden möchte staunt: ?Wir wollten das Haus doch von Anfang an mit allen zu rettenden Balken sowieso wieder aufbauen. Da verfügt die Stadt doch jetzt das, was sie vorher ohnehin schon genehmigt hat.? Und Genehmigungen kann die Architektin für praktisch jeden Schritt der bislang gelaufenen Bauarbeiten aufweisen: ?Da war nichts illegal. Über drei Monate haben wir Balken für Balken untersucht und abgetragen. Wenn wir das Haus hätten weg haben wollen, hätten wir uns diese Mühe wohl kaum gemacht.? Die ganze Zeit lang habe die Stadtbildpflege das Projekt betreut und unterstützt ? erst als Sommer sich persönlich eingeschaltet habe, habe es Ärger gegeben: ?Vielleicht hängt das damit zusammen, dass da jetzt nicht ganz so viel Fachwerk-Fachwissen mit im Spiel ist.?

?Ganz prinzipiell läuft in Celle in Sachen Denkmalschutz so einiges schief?, meint Stefan Haar. ?Wer sich auf bunte Kulissen konzentriert und die historische Bausubstanz so nachlässig schützt, wie es die Stadt im Fall Zöllnerstraße 20 wieder einmal getan hat, der tritt nicht nur die Geschichte mit Füßen ? er verspielt möglicherweise seine Zukunft.?
Dietmar Fröhlich
Nicht angemeldeter User
Nicht angemeldeter User

Re:Celler Fachwerk-Erbe in Gefahr

Beitrag von Dietmar Fröhlich »

Der Teufel steckt freilich oft im Detail. Aber bei den Details in Celle kann ich wenig mitreden.
Was in den neuen Bundesländern oftmals passiert ist, gab es sicher auch in Celle. Es wird müßig sein, nach "Schuldigen" zu suchen:
Den Menschen im Osten (im Westen demzufolge auch) wurde massiv weis gemacht: Eure alten Anstrichsysteme wie Ölfarbe taugen nichts. Wir haben besseres, die genauso diffusionsoffen sind. Das Traditionelle gab es seitdem nicht mehr im Handel. Die neuen Anstrichsysteme mögen zwar `schöner´ aussehen, haben aber den Mangel, daß das Holz noch weniger atmen kann. Unter den neuen Anstrichen vergammelt im wahrsten Sinn das Holz der Fachwerke - ungesehen.
Irgendwo muß man anfangen mit der Aufklärung.
Ich behaupte: Celle ist überall.!! Die Stadt selbst kann wenig dafür. Durch den Abriß des besagten Hauses kommt nun ein riesiger Stein ins Rollen. Hoffentlich bundesweit.
Zum Glück - muß man aus Sicht der alten Fachwerksubstanz sagen.

Nachdenkliche Grüße
Dietmar
Benutzeravatar
Stefan Haar
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 888
Registriert: Sa 15. Feb 2003, 23:59
Wohnort: Wolfenbüttel
Kontaktdaten:

Re:Celler Fachwerk-Erbe in Gefahr

Beitrag von Stefan Haar »

Als kurze Erläuterung zum Thema Zöllnerstraße 20 in Celle folgendes:

Von Ende Februar - April haben Hausforscher der IGB (Heinz Riepshoff, Ulrich Klages, Bernd Kunze, Hans-Joachim Turner und meine Wenigkeit) in wechselnder Zusammensetzung ehrenamtlich das Gebäude erforscht und mit kleiner Bezuschussung seitens der Stadt Celle und des Landesamtes für Denkmalpflege eine 50-seitige Dokumentation erstellt. Der Erlös geht als Spende in die IGB-Kasse.

Das Gebäude stellte sich nach der dendrochronologischen Untersuchung durch Erhard Pressler und unserer Gefügeuntersuchung als Baukörper mit 3 Entwicklungsabschnitten (1511, 1527 und 1688) heraus. Somit das älteste bekannte Fachwerkgefüge der Stadt Celle - und dazu noch ursprünglich ein Speichergebäude!

Davon wußte bis zu unseren Untersuchungen niemand auch nur annähernd etwas. Einziger bekannter Hinweis war bis dato in einem Buch von Gernot Fischer aus dem Jahr 2000 "Celler Baudenkmale" zu finden, in dem es heißt "Das Haus Zöllnerstraße 20 weist eine Ankerbalkenkonstruktion auf und damit möglicherweise das älteste Celler Gebäude".

Wenn man sich dann die Bauzeichnungen und die zugehörige Baugenehmigung anschaut, kommt man zwangsläufig zu dem Schluß, das weder die Architektin, die namentlich nicht mehr genannt werden will noch der seinerzeit verantwortliche Vertreter der Denkmalpflege sich dessen auch nur annähernd bewußt waren.

Von einer vernünftigen Bestandserfassung - geschweige denn einer ausreichenden Bestandsanalyse - kann hier keine Rede sein!

Näheres wird im kommenden Holznagel zu lesen sein und auch in der Celler Presse gibt es zwischenzeitlich täglich neue Berichte zu diesem Thema.

In Fachkreisen kursiert die Adresse Zöllnerstraße 20 inzwischen eher als "Celler Loch", weil außer dem ohne Grund zugeschütteten alten Gewölbekeller nichts, aber ach rein gar nichts mehr von dem alten Gebäude steht ::)

Unmittelbar nach Übergabe unserer Dokumentation hat Heinz Riepshoff im Namen der IGB Strafanzeige bei der Polizei wegen vorsätzlichen Abbruchs eines Baudenkmals gestellt.

... und seit dem geht es in Celle dann doch hoch her ... und man spricht miteinander/übereinander/gegeneinander ... ;)

Wir werden noch Einiges darüber hören, denke ich.
AG-Bautechnik der IGB
Dipl.-Ing. Architekt

Beiträge im Forum können lediglich allgemeine Betrachtungen und daher reine Meinungsäußerungen sein. Bei konkreten Sanierungsproblemen ist eine Einzelberatung durch einen Sachkundigen vor Ort zwingend erforderlich.
Antworten