Probleme bei Rekonstruktion mittelalterlichen Hauses nach Grabungsbefund

Konstruktionen, Befunde, alte Farbanstriche usw.
Dietrich Maschmeyer
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Registriert: Mo 17. Feb 2003, 17:34

Probleme bei Rekonstruktion mittelalterlichen Hauses nach Grabungsbefund

Beitrag von Dietrich Maschmeyer »

Wolfgang Riesner schreibt mir:

in Petershagen Lahde liefen oder laufen zur Zeit noch Ausgrabungsarbeiten in einem Neubaugebiet. Gefunden wurden bisher u.a. Pfostenspuren von Hausgrundrissen, ein Brunnen usw. sowie ein kleiner Friedhof mit bisher 14 Körpergräbern. Die Archäologen gehen von einem Gehöft des 9./10. Jahrhunderts aus.

In diesem Zusammenhang gibt es Überlegungen das Haupthaus des Hofes in der Nähe des Fundortes zu rekonstruieren und an mich die Frage, ob ich nach einem von einem Archäologen (Herr Dr. Best) gefertigten Modell das Gebäude in groß errichten lassen könnte. Meine Antwort lautete wie bei Radio Eriwan - "in Prinzip ja-, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail." Aus Pfostenlöchern auf das Aufgehende
zu schließen ist ja immer etwas gewagt und die Unzahl mehr oder weniger lustiger Rekonstruktionsversuche mahnt zur Vorsicht.

Ich würde gerne mal darüber sprechen, wie man sich dem Problem am Besten nähert. In der fraglichen Zeit war nach meinem Wissens zimmereitechnisch schon ziehmlich alles möglich auch wenn man für ein solches Gehöft eher schlichtere Lösungen unterstellen wird. Es bleiben dennoch etliche Möglichkeiten übrig. Herrn Dr. Best will ich natürlich nicht unterstellen sich nicht selbst ausreichend kundig machen zu können. Dennoch möchte ich auch selbst mehr zu diesm Thema erfahren und bin für jeden Tip dankbar.

Beste Grüße von Wolfgang Riesner

Darauf eine erste Antwort von mir:

Das Aufgehende eines solchen Hauses bleibt natürlich immer spekulativ. Eine Rekonstruktion setzt zunächst einmal einen vollständigen oder zweifelsfrei ergänzbaren Grundriss - das ist trivial - aber auch gute Pfostenlochbefunde voraus. Darüber hinaus wäre es gut, wenn ein Planum relativ nahe am alten Tritthorizont gemacht worden wäre, um eventuelle Frage nach eingegrabenen Stakhölzern oder Bohlen für die Wände oder sogar möglichen Schwellen bzw. Schwellriegeln beantworten zu können. Angesichts der Fundstelle -
jahrhundertelanger Ackerbau! - und der Praxis der Münsteraner Kollegen, Plana oft recht tief anzusetzen, fürchte ich, dass man auch in diesem wie in vielen anderen Fällen nur noch die unteren Enden der Hauptpfosten erfasst hat. Man muss auch davon ausgehen, dass selbst dann, wenn in der Erde ein dickes Rundholz erkennbar war, oberirdisch abgearbeitet und gekantet worden ist. Bloss beweisen kann man das selten. Damit wollte ich schon mal andeuten, welche wichtigen Aussagen der Grabungsbefund nur in ganz seltenen Fällen liefern kann.

Was die Kenntnis der Archäologen bezüglich mittelalterlicher Gefüge usw. betrifft, ist ebenfalls Vorsicht geboten: Ihre Präsenz in der Hausforschung ist wohl eher (Haio Zimmermann) die Ausnahme. Wenn die sich vornehmlich aus der archäologischen Literatur informieren, kann man fast davon ausgehen, dass ihnen die für die Interprtation des Kerngefüges essentielle Diskussion um Dach- und Ankerbalken nicht geläufig ist. Christoph Reichmann jedenfalls, der bisher die umfassensten Studien zur Entwicklung des mittelalterlichen Hallenhauses aus archäologischer Sicht vorgelegt hat, rekonstruiert munter relativ primitive Bauten mit durchgezapftem Ankerbalken, desgleichen sein niederländischer Kollege Carlo Huijts, der sich mit etwa gleichaltrigen (9. Jh.) Bauten aus Gasselte (Drenthe) beschäftigt hat (nicht ganz so primitiv, aber Ankerbalken). Wer die Forschungen von Frank van der Waard (Stichwort Anderen) kennt, versteht, warum beide in inniger Feindschaft einander
verbunden sind.....  Umgekehrt hat es ja wohl geradeder Region Mittelweser (insbesondere Schaumburg) noch nachmittelalterliche Pfostenbauten gegeben, die auch urkundlich und teilweise wohl auch durch funde von Pfosten in rezenten Bauten belegt sind ( U. v. Damaros). Da wir bei denen die aufgehenden Teile aus Wiederverwendungen wohl durchaus kennen, würde die Ausgrabung einer
entsprechenden Hofstelle nicht nur eine bis dato wohl nicht als solche erkannte, dennoch riesige Forschungslücke füllen, sondern auch endlich mal unterirdische Teile oberirdisch bekannter Pfostenbautenliefern und damit Archäologie und Hausforschung unter das eine Dach bringen, unter das sie längst gehören (siehe die angelsächsische, viel weitergehende Definition von archeology).

Langer Rede kurzer Sinn: Eine sichere Rekonstruktion gibt es nicht. Wie wäre es aber, wenn man mal sämtliche halbwegs plausiblen
Rekonstruktionsmöglichkeiten in einem einzigen Gebäude vereinigen würde, um einerseits der Öffentlichkeit klarzumachen, dass man es so genau nicht wirklich weiss, andererseits aber auch mal wirklich das "Funktionieren" bzw. die Machbarkeit bestimmter Bauweisen mit den bekannten Werkzeugen (die sich ja so sehr von den bis in die Gegenwart üblichen gar nicht unterscheiden) ausprobiert? (Und ohne Drahtnägel. Schrauben etc., die man bei Rekonstruktionen gar nicht selten - kaschiert durch sicher nicht realistische Bindungen mit kilometerweise bestem Seil - sieht, die aber belegen, dass die Leute ihr Handwerk nicht verstehen (meist wird dann sogenannten "Statikern" die Schuld in die Schuhe geschoben - in fehlender Anerkenntnis der Tatsache, dass alle derartigen Bauten natürlich wartungsintensiv sind, wenn sie sicher begehbar bleiben sollen). Wäre an sich ein hochspannendes Thema....


Dazu liegt ein Stellungnahme von Heinrich Stiewe vor, die ich (Quelle: E-Mail) hier etwas verkürzt wiedergebe:

Die angedachte Rekonstruktion eines in Petershagen-Lahde ergrabenen frühmittelalterlichen Bauernhauses (9./10. Jh.) klingt nach einem richtig spannenden Projekt! Ich stimme Dietrichs Anregungen in Bezug auf die Rekonstruktion zu: Die oft schlechten Erhaltungsbedingungen auf der Geest oder in tief gepflügtem Ackerland sind bekannt. 

Zu einer möglichen Rekonstruktion: Wenn ein früh- oder hochmittelalterliches Bauernhaus Querbalken hatte, dann sind diese sicherlich als aufgekämmte Bundbalken zu rekonstruieren, mit einer Sparrenaufstellung unabhängig davon auf dem Rähm. Durchgezapfte Ankerbalken, wie sie Reichmann in Anlehnung an die mittlerweile zur Genüge widerlegten Thesen von Schepers rekonstruiert (zuletzt im Salier-Band 1992), sind dagegen auszuschließen.

Wichtig ist der rezente Pfostenbaubefund von Ulli Klages und Tassilo Turner aus Lüdingen (Lk. Rotenburg, 1571-74d), den sie in Wilhelmshaven 2002 vorgestellt haben: Reste von runden Pfosten, die oberirdisch vierkantig behauen waren (ich habe den Befund in meinem Beitrag in der Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie erwähnt).

Das Archäologische Freilichtmuseum in Oerlinghausen plant aktuell, sein abgängiges und veraltetes "Sächsisches Gehöft" durch eine aktuelle
Rekonstruktion zu ersetzen. Der Leiter, Karl Banghard, hat ein Modellfotos erstellt: Es handelt sich um ein schiffsförmiges Langhaus mit schrägen Außenpfosten vom "Typ Warendorf", das im Unterschied zu der bisherigen Rekonstruktion kantig behauene Pfosten und Sparren mit "richtigen" zimmermannsmäßigen Holzverbindungen (Verzapfung, Verblattung) sowie ein Schindeldach erhalten soll - entsprechend aktuellen Kenntnissen zum merowingerzeitlichen Holzbau. Das Modell ist, wie Karl Banghard mir mitteilte, aber schon nicht mehr ganz
aktuell: So wird inzwischen daran gedacht, Binderbalken und zwei innere Querwände (die aufgrund von Phosphatkartierungen angenommen werden können) einzuziehen. Aktuelle Befunde, die der Rekonstruktion zu Grunde liegen, haben die westfälischen Kollegen in Halle-Künsebeck (Kr. Gütersloh) ausgegraben. Dort gibt es aber nicht nur schiffsförmige Häuser, sondern auch andere Bauformen.

Eine Publikation durch den Ausgräber Bernhard Schroth und dem Praktiker des Oerlinghausener Museums, Christian Schürmann, ist in Vorbereitung. Die Kollegen in Oerlinghausen haben viel Erfahrung in der Rekonstruktion frühgeschichtlicher Gebäude - vielleicht sollte man sich dort mal treffen und über einige Fragen auch mit Blick auf die dort stehenden Objekte diskutieren.

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MfG Dietrich Maschmeyer